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In dicken Flocken fällt Schnee. Allein das zu sehen, lässt meine Haut weich werden, wenn ich darüber streichle. Mein Handrücken wie der eines anderen, die Fingerkuppen wie die eines anderen Menschen, ohne Namen und ohne Betreff. Ich schließe das Fenster und begebe mich in einen Raum der ein Rand ist, nichts als Rand rings herum. Und da balanciere ich auf Zehenspitzen, bin ganz Ohr, ganz Nase, ganz alleine bin ich nicht da, bis die Haut sich wieder bemerkbar macht, jenseits des Randes des Raumes eines anderen Menschen, der mich berührt, ohne es zu wissen und ohne es zu spüren.

Aber davon will ich jetzt nicht weiter reden. Nicht am Telefon. Nicht so ins Blaue hinein. Nicht so ohne ein Gesicht, ohne Augenzwinkern, oder eine vielsagende Geste. Es hat dich ja keiner ans Pferd gefesselt. Jenes Pferd ohne Namen war vor 30 Jahren die beliebte Metapher für zügellose Schicksalsgläubigkeit. Wir waren ja noch klein. Aber wer dafür im Laufe der Jahre keine Tracht Prügel eingesteckt hat, ist jetzt nicht mehr zu retten.

Raus komme ich, wenn ich raus gehe und sich meine weiche Schneehaut in eine brettharte Schrundenlandschaft verwandelt. Da schliddere ich immer noch ohne mich des Weges weiter, da reiche ich einem anderen die Hände in Fäustlingen, da sucht man gemeinsam den nächsten Flecken Streusand, teilt sich den höflich und schaut auf die Schuhspitzen, hat Boden unter den Füssen, hat alles was man braucht, einschließlich Weichheit.

Du siehst mich nicht, aber ich lächele. Hier wird es langsam dunkel und es hat aufgehört zu schneien.

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Ja was, und nun kommt nichts? Es stecken doch noch einige tausend Kilometer in dir drin! Jener Marathonläufer, der im Herzen des Scheiterns noch die Fackel hoch hält. Und die Pferde schnauben diesmal in die entgegengesetzte Richtung. Gloria. Im Herzen. Im Hirn. Ein Hebel. Umlegen, jetzt!

Trotz des Regens ist es noch immer über Einundzwanzig Grad warm. Die Küste, windstill. Gespenstisch. Um Viertel nach Drei. Ich habe den Taxifahrer gebeten, mich an dem Restaurant von Dona Rosa abzusetzen.
„Aber das ist längst zu!“
„Macht nichts, ich gehe von dort zu Fuß weiter“.
„Aber hier gibt’s nichts!“
„Macht nichts, ich laufe bis zum Leuchtturm und warte auf den Sonnenaufgang.“
„Sind sie sicher? Das ist ne kleine Wanderung.“
„Ja.“
„Es ist dunkel, heute, der Himmel ist bewölkt.“
„Aber der Mond wird bald raus kommen, dann sehe ich wahrscheinlich mehr, als mir lieb ist.“
Ich lache. „Den Müll, wissen Sie? Die schmeißen hier immer den Müll in die Landschaft.“
„Ja, ja, es ist eine Schande!“
Jetzt bloß kein Schwätzchen halten. Du bist hier in besonderer Mission unterwegs.

Der Wagen wendet und fährt langsam über die Schotterstrasse davon, erklimmt die kleine Erhebung vor der Hauptstrasse, wo sie die Reste des Teers zu einer Geschwindigkeitsdrossel aufgehäuft haben, und gibt Gas. Mit gespitzten Ohren schaue ich ihm nach. Die Rücklichter bleiben klar. Keine Staubwolke filtert die Bremslichter ab, kein Steinchen wird vom Profil der Reifen an die Karosserie geschleudert. Der Regenguss hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Vermatscht sind die Bilder und die Geräusche vieler Sommernächte unterm Leuchtturm von Spartel. Begossener Pudel. Feuchter Kehricht. Wenn ich hier durch muss, dann muss ich hier durch, sagt das Kamel zum Nadelöhr. Ich bin auf der Mitte des Weges und ich kehre nicht um.

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Der Leuchtturm steht im Dunkeln da und leuchtet nicht. Unter der Aussichtsterasse die über den Fels und weit vor den Rand gebaut wurde, brechen winzig kleine Wellen sich an der zerklüfteten Küste. Mitten im August riss einem hier, damals war’s, der Sturm die dünnen Haare vom Kopf und die Gischt wischte über einen hinweg wie ein Schwarm Möwen. Dann blies die Bö einem das salzige Nass urplötzlich in den Rücken, gleich wieder ins Gesicht und dann in die Seite. Es gab keinen Schutz vor ihr, auch nicht im Windschatten des Turmes. Es gab keinen Schatten. Es gab nur Wind. Aber jetzt ist alles ruhig und außer mir niemand hier, der sich nach der Sonne recken will, seine Flügel zu verbrennen. Du könntest dieses lächerliche Kostüm einfach ausziehen, es sieht ohnehin schon ziemlich gammelig aus.

Auf nackten Füssen, die an nackten Beinen einen nackten Körper tragen, tippele ich vorsichtig durch das Dunkel, heran an die Balustrade hoch über dem Meer. Wenn jetzt ein Wind käme und die Wolken vertriebe und den Mond freigäbe, auf mich herab zu scheinen, dann würde mein schneeweißer Busen mich blenden, dann liefe ich in gleißendem Licht umher, würde als strahlende Erscheinung neu geboren, ein unbeschriebenes Blatt in diesem ersten Augenblick. Ja, würde, ja, wenn. Doch allein ein neues Hautgefühl bemerkt mich, sanft, leicht sandig, perlmuttener Muschelstaub aus einer früheren Verpuppung. Aber tröpfelnd setzt der Regen wieder ein, wird stärker, stark und gießt das Kind, den Frischling, das nackte Etwas, noch ohne Namen und ohne Betreff, mit dem Bade einfach aus. Auf glitschigen Holzplanken flutsche ich auf blankem Po geradewegs zurück in die Erinnerungen meiner Eltern.

Egal. Es ist jetzt Viertel nach Vier. Am Horizont wird ein Schlussstrich gezogen, das EKG tut keinen Hups und ein Rudel Hunde macht sich über meine alten Kleider her. Reißt sie in Fetzen, knackt die Streben meines Korsetts, zerrupft die Federn meiner Schwingen, zerkaut die Stiefel, und…, o.k, es reicht, hab schon verstanden, es ist vorbei. Ab heute, neu.

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Du hörst mich nicht, aber ich singe. Hier wird es langsam hell. Ein Wind frischt auf, verweht die Wolkendecke über meiner Seele Nacktheit und trägt ein neues Federkleid zusammen, für mich. Aus allen verlassenen Nestern, aus allen geplünderten Ställen, aus allen Volieren und allen Zoos. Danke. Ich werde meine eigenen Knöpfe annähen und es stolz und würdevoll tragen.

30./31.1.05 (c)Katharina Franck. Identifiziere Ka.
Zuerst veröffentlicht in Sanitäter – Zeitschrift für Text und Bild – Nr. 10/06 Verlag: Peter Engstler, D- 97645 Ostheim/Röhn

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