Popping out of my rebirthday cake – 30 Jahre “In a Different Light”

Vor 30 Jahren ist das 4. Rainbirds-Album “In A Different Light” erschienen. Andreas Goos stellt “In A Different Light” auf  StadtRadio Göttingen vor. Das Interview mit Katharina Franck dazu bleibt auf Abruf verfügbar.

Jubiläum. Äh, Jubiläen! Eines jagt das andere, manche habe ich gerade verpasst. Gut, dass es Menschen gibt, die Buch führen. So feiert „Blueprint“, habe ich mir sagen lassen, in diesem Jahr das 35-jährige Jubiläum seines erstmaligen Einstiegs in die Charts. Hurra! Im vergangenen Jahr hätte ich euch daran erinnern können, dass mein „Zeitlupenkino“ 20 Jahre alt geworden ist. Stattdessen habe ich das Album Rainbirds „Making Memory“ an meinem 59. Geburtstag digital und deluxe wiederveröffentlich, obwohl es erst in drei Jahren 30 wird. 2021 wiederum, ist Rainbirds „Two Faces“ 30 geworden und dieses Jahr ist das 4. ‚Rainbirds-Album “In A Different Light” an der Reihe.

Die Arbeit an „Two Faces“, dem dritten Rainbirds-Album, welches 1991 erschien, und die Arbeit an dem Album danach, „In a Different Light“, ging mehr oder weniger nahtlos ineinander über, weswegen ich sie oft unter einem Namen zusammenfasse, „two faces in a different light“, zwei Gesichter in einem anderen Licht. Sie sind sehr unterschiedlich, wie eigentlich alle Alben, an denen ich mitgewirkt habe, doch die Veränderungen fallen nicht vom Himmel oder unter einen modischen Trend. Sie sind Teil einer stetigen musikalisch-künstlerischen Auseinandersetzung, sind Neuentdeckungen, Interessen und Leidenschaften, die das Songwriting und die Arrangements beeinflussen.

David Daoud Coleman im Audio Studio, Berlin 1992 oder 1993

Bei den Aufnahmen zu „Two Faces“, welches seine eigene lange Geschichte hat, haben wir den Cellisten, Percussionisten und Sänger David „Daoud“ Coleman kennengelernt, der geniale kleine Bruder der ebenso genialen Lisa Coleman (Prince & The Revolution/Wendy & Lisa). Mit ihm verband uns nicht zuletzt die Begeisterung für Nordafrikanische Musik, und es ist eine Schande, dass er 2004 mit nur 42 Jahren gestorben ist.

Am Album mitgewirkt haben außerdem die Schlagzeuger Jaki Liebezeit (Can), Curt Cress und Martell Beigang, der sich damals Tellsque C. nannte. Es spielten die Bassisten Raoul Walton und Konny Matthieu, der Gitarrist Alexander Hacke und Schlagwerker F.M. Einheit,

Lindsay Cooper Audio Studio, Berlin 1992 oder 1993

bekannt von den Einstürzenden Neubauten, die Fagottistin Lindsay Cooper und ein Elektrobeats- und Samples-Lieferant namens Sugar J, ein weiters Alias des Britischen big-beat/electronic DJs John Gosling, der ein guter Freund unseres Co-Produzenten und Toningenieur Jon Caffery war. Die Songs waren natürlich fertig, bevor wir ins Studio gingen, allerdings fehlten mir noch ein paar Texte, die ich erst während der Arbeit an den Tracks geschrieben habe.

Der Opener des Albums, „Sleep with Snakes“, ist ein ziemlicher Rocker. Treibender, ostinater Bass, der unter einer ebenfalls durchgehenden Klangsequenz Druck macht, die sich wiederum anhört, als hätte Ulrike Haage aus einer gläsernen Bass-Panflöte einen Sound für das Keyboard programmiert und den durch einen Verzerrer geschickt. Und genau das hat sie gemacht, allerdings ohne so eine Flöte, von der ich nicht weiß, ob es sie überhaupt gibt, und zwar mit einem Yamaha DX-7, dem beliebtesten Keyboard der 80-er und frühen 90-er Jahre.

Tonstudioassistent Ulli Hieber und Ulrike Haage im Audio Studio, Berlin 1992 oder 1993

Außerdem kamen bei dem Album u.a. zum Einsatz: AKAI-Sampler, ein originales Mellotron und ein Clavinet, eine Hammond-Orgel, ein durch ein Wah-Wah Pedal geschicktes E-Piano, ein aufgeschraubtes Wurlitzer, ein Flügel, ein Jupiter-8 und ein E-mu Morpheus Synthesizer mit dem man Klänge bereits morphen konnte. Nebengeräusche aus analogen Instrumenten waren genauso wichtig wie die eigentlichen Klänge, und der Flügel bekam auch mindestens ein Extra-Mikrofon, dessen Signal durch einen Verzerrer geschickt wurde. Man hört neun Cellist*innen, eine Oud, Darboukas, Fingercymbeln, mit dem Bogen gestrichene E-Gitarren, Ziegel, Steine, Metalle, Stahlfedern, knirschende Schritte im Schnee und die Nahaufnahme eines angestrichenen Streichholzes, das Feuer fängt.

Alexander Hacke im Audio Studio, Berlin 1992 oder 1993

Und da wir hier schon in den nerdigen Bereich kommen, noch der Hinweis, dass die Grundlage für „Sleep with Snakes“, ein Demo war, das ich bereits vor dem Bekanntwerden der Rainbirds zuhause aufgenommen hatte und das man sich jetzt als Bonus-Track der 2013 erschienen Jubiläumsausgabe des Rainbirds-Debüts anhören kann (Titel: „I know more than you know“).

Während ich den Live-Sound der Rainbirds von 1996 bis 1999 noch ziemlich genau im Ohr habe, weil wir damals als Trio im Studio waren und dasselbe Trio mit den Alben auf Tour gegangen ist (und weil es das Album „Rainbirds3000.live gibt, das ich im Laufe des Jahres digital wiederveröffentlichen werde), weiß ich heute nicht mehr wie die sogenannte „Two Faces plus 4“-Livebesetzung geklungen hat. Klaus Mages hat Schlagzeug gespielt, Raoul Walton Bass, E-Gitarre spielte Susanne Hassenstein und Julia Palmer Cello. Ich weiß noch, dass Jaki Liebezeit zum Konzert in Köln gekommen ist, und nie werde ich Jäki Hildisch vergessen, der für eine zu kurze Zeit damals unser Tourmanager war. Aber ich weiß nicht mehr, ob es eine „In A Different Light“-Tour gegeben hat. Mich hat das immer ein wenig angestrengt, wenn nach oft monatelangem Songwriting und Proben und den anschließenden Aufnahmesessions für eine Tour mit wieder anderen Musiker*innen geprobt und ein dem Album entsprechender Live-Sound gefunden werden musste. Egal wie sorgfältig sie ausgewählt wurden, egal wie gut sie waren, irgendwas blieb immer auf der Strecke.

Nachtrag: Natürlich gab es eine “In A Different Light”-Tour! Wie konnte ich das vergessen? (S.o.) Vielen Dank an Robert Fischer aus Wien für die Erinnerung: In 1993 kamen wir mit dem Schlagzeuger Tim Lorenz zusammen, den Ulrike Haage schon einige Jahre zuvor während eines Popkurses in Hamburg kennengelernt hatte. Nach der “Two Faces” -Tour setzen wir die Arbeit mit dem Bassisten Raoul Walton fort. Und Thomas Blug spielte Gitarre. Hier sind Livefotos aus dem Sommer 1993 von Petra Gall zu sehen.

Jon Caffery und KF im Audio Studio, Berlin 1992 oder 1993

Bevor ich mich an die Erzählungen hinter den Texten mache, möchte ich noch ein paar Sätze zu einer aktuellen Debatte schreiben, die Anfang der Neunzigerjahre zumindest in Deutschland so noch nicht geführt wurde. Es geht um Kulturelle Aneignung. Würde ich heute Songs des Albums „In a Different Light“ live spielen, würde ich versuchen, die Instrumente aus dem Nordafrikanischen Raum, die Oud, die Darbouka, die Fingercymbeln, nicht nur von Menschen spielen lassen, die es können, sondern die auch mit diesen Instrumenten aufgewachsen sind, sie verinnerlicht haben. Ich würde lieber Sänger*innen mit nordafrikanischen Wurzeln einladen, als diese Parts selbst zu singen, und sei mein Versuch noch so sehr ein Ausdruck meiner Begeisterung für diese Musik. Dieses Bewußtsein habe ich vor 30 Jahren noch nicht gehabt.

Wie bereits erwähnt, habe ich einige der Texte zu den Songs erst während der Studiosessions geschrieben. Darunter die von „Devil‘s Dance“ und „Jamais Jamais“. Ich war doch ziemlich erschöpft, nachdem ich es versäumt hatte, zwischen der Auflösung der ersten Rainbirds-Besetzung und der Arbeit an „Two Faces“ eine Pause einzulegen. Und während der vielfältigen Aktivitäten rund um die Veröffentlichung und der schwierigen Rezeption von „Two Faces“ in den deutschen Musikmagazinen und schließlich dem Beginn der Arbeit an „In A Different Light“ hatte ich es wieder vergessen. Der im Studio schnell geschriebene Text zum poppigen Teufelstanz hat nicht darunter gelitten. Vielmehr habe ich, inspiriert durch den Groove des Tracks, dem „A wop bop a loo bop a lop bam boom“ von Little Richard ein „boom boom chica boom boom chica boom boom“ hinzugefügt und möglicherweise einen meiner poppigsten Refrains geschrieben. Ein Ringelreigen über Sehnsucht nach Liebe, Verführung und Gönnung, schließlich Verrat und wieder zurück.

Die Songs “Devil’s Dance” und “Jamais Jamais” wurden als Singles released. Videos wurden keine gedreht.

Boom boom chica boom boom chica boom boom
There’s a devil dancing in the yard of my heart
Sounds like treason
Boom boom chica boom boom chica boom boom
There’s a devil dancing in the yard of my heart
And I forget the reasons

Bei “Jamais Jamais” habe ich einen anderen Trick angewandt, und zwar den, in einer mir zwar nicht fremden, aber doch weniger geläufigen Sprache zu texten. Mit bekannten französischen Begriffen und den schon teils klischeehaften Bildern aus französischen Filmen und meiner Begeisterung für Erik Saties versponnenen Ideen, wie z.B. die drei Musikstücke in Form einer Birne, die in Wirklichkeit sieben sind, entsteht die Selbstermächtigungsgeschichte einer Frau, die gewappnet ist für das Auf und Ab und Hin und Her im Leben. Lieblingszeile: „…car mon coeur, il pardonne, mais il peut pas oublier, et ma tête, elle oublie, mais elle peut pas pardonner.“ Auf Deutsch: „ … weil mein Herz zwar verzeiht, aber nicht vergessen kann, mein Kopf jedoch vergisst, aber nicht verzeiht.“
Und da wir einen französischsprachigen Song auf dem Album haben würden, fanden wir einen Song auf Portugiesisch nicht fehl am Platz. „Pessoa 1934“ ist aber kein Text von mir, sondern die Vertonung eines Gedichtfragmentes von Fernando Pessoa. Den Band posthum veröffentlichter Gedichte, gefunden in einer Truhe in Pessoas kleiner Lissabonner Buchhalterwohnung, hatte ich schon in 1976 oder 1977 von einem der Musiker geschenkt bekommen, mit denen ich bereits als Teenager in Portugal Musik machte: alle mindestens doppelt so alt wie ich.

Die Portugiesen begannen damals einen ihrer bedeutendsten Dichter zu entdecken, der für sich viele Heteronyme geschaffen hatte. Alle hatten ihre eigene Biografie, eine eigene philosophische Sichtweise und einen eigenen Schreibstil. Sein auch in Deutschland bekanntestes „Buch der Unruhe – Bekenntnisse des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares“ wurde in Portugal zum ersten Mal 1982 veröffentlicht, 47 Jahre nach seinem Tod. Das Fragment hat keinen Titel und war 1934 verfasst worden, deshalb heißt der Song „Pessoa 1934“. Pessoa bedeutet im Deutschen Person und ich finde es sehr stimmig, dass sich ein Mensch mit Namen Person so viele Identitäten schafft. Ob er auch ein weiblich gelesenes Heteronym geschaffen hat, ist scheinbar nicht bekannt.

Der Dichter beschreibt in dem kurzen Text, wie er allmählich dem Wahnsinn anheimfällt, doch will er, solange er sich demselben nicht hingibt, wissen, welchen Weg dahin er einschlägt. Und wenn er sich denn schon seinem Schicksal ergeben wird, will er sich wenigstens die Zeit nehmen, alles was dabei war und ist, in Betracht zu ziehen. Er konstatiert große Erinnerungslücken und viele verlorene Parallelen in der Legende, der Geschichte seiner vielen Leben. Er bemerkt, dass er sich darin verloren hat und will sich zusammennehmen, die Fäden neu knüpfen, um sich schließlich an alles zu erinnern.

Ich verfalle augenblicklich noch nicht dem Wahnsinn. Sollte ich aber bei meinen Schilderungen großspurig klingen, dann liegt das an einem gewissen Stolz auf die vielen Dinge, die ich geschafft und geschaffen habe. Einiges ist mir in die Wiege gelegt worden, manches habe ich gesucht und gefunden, aber vieles bin auch einfach nur ich.

Sitting on top of a tree
Looking down on me
Too blue
To be looking up to a dream of yours
A painting of a room with a million doors
The memory of a key in a sea of time
The keeper of the tree is no friend of mine
Falling down
I’m falling down

Auf Textebene gibt es zu den Songs des Albums „In a Different Light“ viele spannende Dinge zu erzählen, weshalb ich mir ein paar davon nach und nach im Einzelnen vornehmen möchte. Unter meiner Rubrik #andwhataboutthelyrics ist gerade ein Text zu A Waltz for Jane erschienen. Schickt mir auch gerne Eure Songwünsche für eine Folge, ich freue mich immer über Anregungen.

Dass mich die sogenannte „Godmother of Punk“ Patti Smith als Teenager tief beeindruckt hat, ist allseits bekannt. Meine Wahl, „Ain’t it Strange“ vom zweiten Album der Patti Smith Group, „Radio Ethiopia“, zu covern, den Song, bei dem sie anlässlich eines Liveauftritts in Tampa, Florida von der Bühne fiel und sich fast das Genick brach, hat viele Gründe, von denen ich heute nicht mehr genau weiß, ob ich sie mir im Nachhinein zurechtgelegt habe, oder ob sie doch etwas mit meinem eigenen „Genick“-Bruch zu tun hatten. Jedenfalls begann ich in 1992/1993 damit, hin und wieder über meinen wirbelwindhaften Karriereverlauf nachzudenken. But I am slower than you think und das Leben lebt weiter.

© KF im Januar 2023

* in der ersten Version dieses Textes stand, dass Sugar J ein Alias für Jon Caffery gewesen sei. Weitere Korrekturen und Ergänzungen am 23.03.23.

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