„Notizen im Sturm“ – Das Album „Two Faces“, oder Das Neue Debut (1991)

32 Jahre nach der Erstveröffentlichung auf LP, MC und CD, ist seit dem 28.07.2023 nun auch das dritte Rainbirds-Album “Two Faces” auf sämtlichen digitalen Kanäle abrufbar.

Manches liegt einfach so weit zurück, dass sich der Versuch einer Erinnerung in  Moleküle zerlegt, durch die immer wieder ein brandenburgischer Sandsturm fegt. Wir schreiben das Jahr 2023, es ist ein sehr trockener, sehr windiger Juli. Alles fliegt durcheinander und setzt sich neu ab, bis auf diese wenigen, einschneidenden Momente, denen aber der Unterbau fehlt, ein wichtiger Nebensatz, eine freundliche Anekdote. Der Überbau bleibt unverweht: „Die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung“,soll Heraklit (*um 520 v. Chr.) gesagt haben. Er hat darauf hingewiesen, dass man nicht zweimal in den denselben Fluss steigen kann, denn alles fließt und nichts bleibt. Das wiederum erklärt sehr gut, was ich mir damals, viele, viele Jahre nach Heraklit, bei dem Begriff Rainbirds (*1986 n. Chr.) gedacht habe und weshalb ich meine Band so nannte. Eine Bande von musizierenden Freunden, die sich individuell und miteinander verändern, und zwar konstant, die in Schwärmen und Formationen immer in Bewegung bleiben. Mal setzt sich einer ab, kommt vielleicht wieder, vielleicht aber auch nicht. Die Übergänge sind fließend, Teil der Bewegung durch dick und dünn und immer am Puls der Zeit. Nun soll es hier aber nicht darum gehen, dass dies ein Bild war, an das ich mich nicht hätte klammern dürfen. Es soll darum gehen, wie es nach einer ziemlich plötzlichen Auflösung dieser ersten Formation mit den Rainbirds weiterging.

Während der Mix-Phase des zweiten Rainbirds-Albums „Call Me Easy, Say I’m Strong, Love Me My Way, It Ain’t Wrong”, stieß die Pianistin und Komponistin Ulrike Haage zu uns. BECKMANN und Rodrigo González hatten sie für uns entdeckt, bei einem Konzert ihrer Band Vladimir Estragon mit FM Einheit, Phil Minton und Alfred Harth. Wie es dazu kam, dass die beiden zum Jazz Fest Berlin gegangen sind, weiß ich nicht. Ich vermute, sie wollten FM sehen, oder The Ordinaires, die am selben Abend spielten. Sie brachten Ulrike mit und es war gut.

Fast Forward in den Mai 1989. Die Vogelflugformation verkleinerte sich deutlich. Ich zog alleine quer durch Europa, um „Call Me Easy…“ zu promoten, erschöpft und tieftraurig über das abrupte Ende meiner Band und gleichzeitig voller Vorfreude auf die neue Perspektive. Dem Vorschlag meines Managers George Glück, dem Duo mit Ulrike Haage einen neuen Namen zu geben, war ich nicht gefolgt (, obwohl ich kurz in Erwägung gezogen hatte, das Duo unter dem Namen Ha! Ha! Houdini zu lancieren). Aus heutiger Sicht wäre ein neuer Name vielleicht eine gute Option gewesen, über die ich ein bisschen länger hätte nachdenken sollen. Vielleicht hätte dann das dritte Rainbirds-Album, „Two Faces“, eine Chance gehabt, gehört zu werden.

Vielleicht aber auch nicht. George Glück hatte auch einen Namen für uns im Sinn, Herstory. Es wäre damals durchaus ein mutiger Schritt gewesen, unter diesem Namen einen kompletten Neuanfang zu wagen, statt, wie wir es taten, das Release von Rainbirds „Two Faces“ 1991 mit dem Zusatz „Das neue Debut“ anzukündigen. Doch ich hatte mir weder die Zeit genommen, noch den Versuch gemacht, alles bis dahin Geschehene zu begreifen, und im Übrigen wollte ich die Erzählung von der sich konstant verändernden Bande so schnell nicht wieder aufgeben.

„Mir kamen die Reaktionen auf unser Album sehr geprägt von der Tatsache vor, dass Katharina Franck gerade zuvor ihre Ursprungsbesetzung der Rainbirds aufgelöst hatte und somit eine kleine Revolution in der Popwelt ausgelöst hatte. Das Album fiel zu Unrecht in ein Vakuum aus Widerstand.“ Hier zitiere ich Ulrike Haage, die ich um ein paar Notizen zu unserer Arbeit an „Two Faces“ gebeten habe. „Das Album, das für mich ein Meilenstein ist und die erste Zusammenarbeit mit Katharina Franck war, repräsentiert eine aufregende Zeit in Los Angeles, wo wir auf ein damals noch sehr unbekanntes Protégé der Tonmeisterin und Produzentin Susan Rodgers stießen, den Sound-Engineer Carmen Rizzo. Carmen brachte uns mit Musiker*innen aus dem Kreis von Prince zusammen, die unsere Kompositionen mit Verve und Enthusiasmus eingespielt haben. Uns stand eine Welt offen, die musikalisch viele Möglichkeiten bot, etwa das Schreiben für ein ausgezeichnetes Streichquartett, für den Cellisten und Darbouka-Spieler Dave Daoud Coleman oder Kompositionen für die Hammond Orgel. Parallel erforschten wir den Umgang mit neuen Samplern von AKAI. Und das Ganze in den Sunset Sound Studios, in denen vor uns Größen der populären amerikanischen Musik aufgenommen haben, deren Spuren oder Geister wir an diesem Ort zu verspüren meinten. Zumindest war das ganze Ambiente höchst inspirierend.“

Bevor es aber soweit war, dass wir die gleiche Luft atmen konnten wie The Doors, Janis Joplin und Prince, passierten noch ein paar andere Dinge. Ulrike ging u.a. mit Lindsay Cooper und Phil Minton auf Tour. Die Berliner Mauer fiel.  Ich schrieb die Texte „Kino“ und „Das finde ich schön“, die erst rund acht Jahre später auf dem Album „Hunger“ veröffentlicht wurden. Wer Lust hat, kann sich die beiden gesprochenen Popsongs im Netz anhören und bemerkt vielleicht, wie ich damals über Rainbirds nachdachte.

Ulrike arbeitete außerdem mit FM Einheit von den Einstürzenden Neubauten zusammen, den sie während der Peter Zadek-Inszenierung von „Andi“ in Hamburg kennengelernt hatte. FM war dabei, sein erstes Solo-Album aufzunehmen und lud mich ein, zu einem seiner Tracks einen Text zu schreiben und zu singen. „Educação“ erschien auf dem Album FM Einheit „STEIN“ und wurde als Single ausgekoppelt. Mit VOOV, der damals ebenfalls mit FM zusammenarbeitete, nahmen Ulrike und ich in dessen Studio auch die ersten Demos auf. Er begleitete uns und unser komplettes Studioequipment im Lieferwagen in das Dorf Cazouls-d’Herault in Südfrankreich, half uns beim Set-up und fuhr den Wagen wieder zurück nach Berlin.

KF und Ulrike Haage während der ersten STEIN-Tour in 1990

Die Demos, die in dem winzigen, mittelalterlichen Dorf und anderswo entstanden, waren größtenteils schon fertig produzierte Songs, als sich unser Management und die Plattenfirma mit den Aufnahmen daran machten, potenzielle Produzenten in den USA zu kontaktieren. Ich weiß nicht mehr genau, wieso ausgerechnet da, aber wir waren natürlich begeistert. Bis wir dann über Susan Rogers an Carmen Rizzo gerieten, verging auch noch einmal eine ganze Weile, und fast wären wir ohne Album wieder nach Berlin zurückgeflogen. Nachdem wir es vorzogen, nicht mit einem abwesenden Star-Produzenten und seinem völlig desinteressierten Haustechniker an den Songs zu schrauben, rebellierten wir und brachen die Session ab. George Glück kam nach LA, um auf der Terrasse des Hotel Mondrian am Sunset Boulevard mit dem Manager des Produzenten darüber zu verhandeln, ob dieser wenigstens den Song „Head Over Heels“, an dem er Gefallen gefunden hatte, fertig produzieren durfte. Ich sprach mich sehr deutlich dagegen aus.

Bis dahin war unser Aufenthalt in Los Angeles also ziemlich ernüchternd gewesen, dabei war es gleichzeitig total spannend, in den USA zu sein und zwar nicht als Touristen. Wir trafen weitere Interessenten, deren Arbeitsweise uns fremd blieb. Wir merkten aber auch, dass wir ganz schön verwöhnt waren, denn selbst Berliner Indie-Studios wie etwa das Tritonus waren doch technisch deutlich besser ausgestattet als die Räume, die wir in LA betraten. Bis wir dann, in den Sunset Sound Studios angekommen, begriffen, dass jedes Gerät, welches für eine Produktion gebraucht wurde, extra angemietet werden musste. Neben der guten Akustik und der legendären Atmosphäre stand in den Studios nichts weiter als ein Mischpult, ein paar Trennwände und ein kleiner Flügel.

Bevor es mit Carmen Rizzo richtig losgehen konnte, fuhren Ulrike und ich noch für ein paar Tage ins Death Valley und nach Las Vegas ins Caesars Palace, wo wir Karten für Dionne Warwick und Burt Bacharach hatten, und lernten, dass der Tisch, an dem wir dem Konzert beiwohnen würden, umso besser wird, je höher das Trinkgeld ist, das der Platzanweiser von uns zugesteckt bekommt. Wir saßen nicht schlecht. Ich weiß nicht, wie oft hintereinander Ms Warwick und Mr Bacharach ihr Programm schon abgespult hatten. Elvis Presley hatte in sieben Jahre 873 Shows in Las Vegas gespielt und war danach gestorben, aber die gelangweilte Lockerheit, mit der Dionne Warwick die Songs von Burt Bacharach sang, der sie am Piano begleitete, grenzte an ziemlich abgegessene Routine. Dionne Warwick lebt noch, ihre Interpretationen sind immer noch großartig, doch das Tote Tal, das Amargosa Opera House an der Death Valley Junction, der Zabriskie Point, vor allem aber der heiße Mojave-Wüstenwind auf nackter Haut haben mich damals deutlich mehr beeindruckt.

„Natürlich fand ich auch das damalige Flair in Los Angeles spannend, wo wir permanent auf internationale Künstler*innen stießen, ob es Björk am Frühstückstisch war, Tears for Fears oder die Musiker im Club von Johnny Depp (…) und wo wir live an einer Kultur teilnahmen, die mich als Jugendliche geprägt hatte, ob über den Jazz, die Popkultur, die Bücher der Beat Generation oder die Weltgeschichte. Gleichzeitig begann der sogenannte zweite Golfkrieg und es war ziemlich erschreckend, die manipulativen Nachrichten in den USA mitzuerleben. Das war eine merkwürdig fremde Weltsicht, mit der die Amerikaner*innen auf einen Krieg eingeschworen wurden, der wieder einmal nicht in ihrem Land stattfand. All das aufregende, anregende Ambiente floss in die Arbeit an diesem vielfältigen Album ein, was vielleicht auch erklärt, dass wir mit einer Musik nach Deutschland zurückkehrten, die in den Medien durchfiel.  Ein komplexes Werk, mit wunderbaren Texten und den unterschiedlichsten musikalischen Stimmungen, geschrieben und produziert von zwei Frauen, was die meist männlichen Kritiker im Jahr 1991/92 nur mit Mühe anerkennen konnten.“

Mit Ulrike Haage, die ich hier oben abermals zitiere, war ich mir einig, dass wir uns in den Notizen nicht weiter mit der damaligen Rezeption unserer ersten gemeinsamen Veröffentlichung beschäftigen wollen. Doch das digitale Release von „Two Faces“ 32 Jahre nach ihrem erstmaligen Erscheinen auf LP, CD und Cassette, hat mich dazu verleitet, einen aufmerksamen Blick in die gebündelten und gebundenen Pressemappen von damals zu werfen. Die Konzertbesprechungen, die unsere „Two Faces + 4“-Tournee-Besetzung erhielt, mit Klaus Mages an den Drums, Raoul Walton am Bass, Susanne Hassenstein an der E-Gitarre und Julia Palmer am Cello, waren mehrheitlich positiv. Komisch finde ich nur, dass vielen Rezensenten eine gute Kritik über die neuen Rainbirds zu verfassen nicht ohne ein Abwerten der alten Rainbirds möglich schien. Dabei haben sich Rainbirds, wie ich finde, doch als durch und durch zeitlose Bande von musizierenden Zugvögeln entpuppt, die immer den ganzen Weg geflogen sind, egal wie viele Federn sie dabei lassen mussten.

Und zum Schluss, noch eine Ergänzung von Ulrike:

“PS.: ad “Two Faces”, the song

„Den Titelsong TWO FACES habe ich als Instrumentalstück für meine damalige Band VLADIMIR ESTRAGON geschrieben, als ziemlich emotionale Reaktion auf das Tien’anmen-Massaker in Peking. Katharina hat diesen Titel aufgegriffen und in ein sprachlich exzellentes Wortspiel gewandelt. Wir haben es dann für ein wunderbares Streichquartett in Los Angeles umgeschrieben. Auf der Single-Auskopplung gibt es noch einen “Third Face Insanity Mix”, der kraftvoll und clubreif daherkommt und von FM Einheit und VOOV produziert wurde. Darin finden sich alle Elemente, die unsere damalige Zusammenarbeit ausmachten: O-Töne von Gertrude Stein, samples aus Studiosessions, Chöre von Katharina, sowie präpariertes Klavier von mir.“

Rainbirds „Two Faces“ ist seit dem 28.07.2023 über alle bekannten digitalen Plattformen erhältlich.

© Katharina Franck, im Juli 2023

 

 

 

1 Comment

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  1. Ha! Ha! Houdini wäre vielleicht wirklich kein schlechter Name für das Duo gewesen – so oder so aber gibt es überhaupt keine andere Erklärung für die damalige Resonanz auf das Album als die, dass da eine Menge Leute Tomaten auf den Ohren (oder ideologische Schranken dazwischen) gehabt haben müssen: Das Album ist ein Meisterwerk. Vielleicht war es seiner Zeit voraus – ganz sicher aber wird es: bleiben. Danke für den schönen Text zur Entstehungsgeschichte.

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